Lindner, Jura für Kids
Das Buch will einen Überblick über die Rechtsordnung vermitteln und ist daher auch so aufgebaut, wie die meisten Einführungen in das Recht. Nach den einleitenden Fragen, was Recht ist und wie Gesetze entstehen (Seite 13-26), folgt ein Kapitel über den Rechtsstaat (Seite 27-47). Im dritten Kapitel werden die drei großen Rechtsgebiete Strafrecht, Zivilrecht und öffentliches Recht erklärt (Seite 48-74). Das vierte Kapitel ist dem Grundgesetz gewidmet (Seite 75-100). Im fünften Kapitel geht es um Gerichte (Seite 101-115), im sechsten um juristische Berufe (Seite 116-148). Im siebenten Kapitel werden ein Straf- und ein Zivilverfahren geschildert (Seite 149-162) und im letzten einige reißerische Fälle (163-176). Den Abschluss bildet ein Stichwortregister. Ein Literaturverzeichnis oder Empfehlungen zum Weiterlesen fehlen leider.
Der Leser wird persönlich angesprochen und geduzt. Beispiele und Fälle machen die Themen anschaulich. Viele davon haben mit der Polizei und dem Strafrecht zu tun, was nicht nur dem Tätigkeitsfeld der Autorin geschuldet sein dürfte, sondern für den Laien oft anschaulicher ist. Auch das Öffentliche Recht wird breit behandelt, das Zivilrecht (Eigentum, Verträge, Familien- und Erbrecht, von den Nebengebieten ganz zu schweigen) jedoch sehr stiefmütterlich auf nur 8 Seiten plus einige versprengte Einzelheiten. Beispielsweise die Verantwortlichkeit von Kindern und Jugendlichen für Schäden hätte nicht weggelassen werden dürfen (eine Andeutung findet sich nur ganz am Ende des Buches auf Seite 175 f. in einem verwaltungsrechtlichen Zusammenhang). Diese betrifft den durchschnittlichen Leser mehr, als das breit abgehandelte Strafrecht – auch wenn die tägliche Erfahrung einer Jugendrichterin eine andere Sicht hervorrufen kann.
Die vorhandenen Ausführungen sind interessant und meist sehr verständlich, aber nicht immer ganz korrekt (Seite 23: es gelten auch europäische Verordnungen direkt, nicht nur in Deutschland beschlossene Gesetze; Seite 40: im Autofallengesetz von 1938 – kein tolles Beispiel – ging es um den höheren Strafrahmen, die Taten wären als einfacher Raub auch so strafbar gewesen – abgesehen davon überfällt niemand Autos, sondern Autofahrer; Seite 64: der Aufbau des Bürgerlichen Gesetzbuchs geht nicht auf ein Gesetzbuch der Römer zurück; auf Seite 69 stimmt die Erbfolge mit Opa nicht; Seite 71: Öffentliches Recht ist nicht gleich Verwaltungsrecht). Manchmal bleiben Unklarheiten (Seite 25: wann muss der Bundesrat einem Gesetz zustimmen; Seite 41-43: sind grundrechtswidrige Gesetze automatisch unwirksam, muss das Bundesverfassungsgericht sie dazu erklären oder der Gesetzgeber; der Fall Seite 47 hätte besser erklärt werden können, Stichwort: Talion; auf Seite 82 wird das Minderheitenvotum schlecht erklärt). Manche scheinbar allgemeingültigen Angaben sind nicht (mehr) korrekt: Es gibt seit 2013 28 europäische Mitgliedstaaten; die Zahl der Bundestagsabgeordneten und der Ausschüsse stimmen ebenfalls nicht (mehr). Wenig praktisch erscheint es, das (in der kostenlosen Version nicht durchsuchbare, rein nach Erlassdatum eines Gesetzes sortierte) Bundesgesetzblatt als Fundort für Gesetze zu empfehlen (Seite 26). Da wäre der Hinweis auf www.gesetze-im-internet.de nützlicher gewesen. Realitätsfern ist die Behauptung, dass es für die Entscheidung eines Richters keine Rolle spiele, was er persönlich denkt (Seite 124). Das sollte theoretisch so sein, ist es aber praktisch selten. Auch Juristen sind Menschen.
Wenn mit „etwas andere“ gemeint ist, dass mindestens ein Drittel des Stoffes, nämlich das Zivilrecht, weitgehend weggelassen wird, dann handelt es sich um eine akzeptable Einführung in das Recht. Gemeint ist aber wohl eher die altersgerechte Darstellungsweise. So fragt man sich, ob die Autorin keine Lust auf oder keine Ahnung von Zivilrecht hat. Angesichts der Tatsache, dass der Alltag voll davon ist, spart sie (zu) viel aus.
PS: 2015 erschien eine 2. Auflage, um Recht in der Schule ergänzt (neues 7. Kapitel ab Seite 151, das zu den besten Teilen des Buches gehört). Durch ein zweites Vorwort haben sich die oben genannten Seitenzahlen verschoben (jeweils + 2).
Der Hauptvorwurf bleibt leider: Das Missverhältnis zwischen den Rechtsgebieten wurde nicht korrigiert. Auch die oben aufgeführten Fehler sind überwiegend nicht behoben worden. Gewisse Aktualisierungen (es sind 28 EU-Mitgliedstaaten!) hätte man erwarten dürfen. Immerhin das mit der Erbfolge (jetzt Seite 71) wurde verbessert, ebenso wie die Ausführungen zum Minderheitenvotums (jetzt Seite 84).
Die 4. Auflage 2022 wurde nicht noch einmal kontrolliert.